1972-1984 Die Untergänge vor sich herschleifen
Schnee ist ein Wort und Heu ist auch eins. Schnee ist ein Wort. Es gibt nicht viele Wörter. Es gibt nicht viele, die nicht bezeichnen, womit sie eins sind, weil sie es nicht bezeichnen. Die nicht eins sind mit dem, was sie nicht bezeichnen, weil sie damit eins sind. Aber Schnee ist ein Wort. Ob er ausbleibt, zögernd zu fallen beginnt oder in Wirbeln herunterjagt, er kann sich nicht wehren. Er ist ein Wort.(Kleist, Moos, Fasane, 113)
Auch nach dem Tod von Günter Eich im Dezember 1972 bleibt Ilse Aichinger noch lange im Haus in Großgmain, das sie zuletzt gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnt. Die im Band Schlechte Wörter (1976) versammelten Prosatexte und das Hörspiel Gare Maritime (1973/77) sowie die in Verschenkter Rat (1978) erstmals in Buchform herausgegebenen Gedichte gehören zu den radikalsten Texten ihrer Epoche. Unbeirrt von ästhetischen Moden und politischen Tendenzen setzt Aichinger den gemeinsam mit Eich mit den „Maulwürfen“ beschrittenen Weg des „Schriftstellers vor der Realität“ konsequent fort. Ihre Texte erkunden die Wirklichkeit, indem sie den Gebrauch der Sprache selbst in Frage stellen.Mit Schlechte Wörter hat Aichinger den Höhepunkt ihres Schaffens erreicht. Sie erhält eine ganze Reihe bedeutender Literaturpreise, u.a. den Literaturpreis der Stadt Wien (1974), den Roswitha-Preis (1975), den Trakl-Preis (1979), den Petrarca-Preis (1982), den Kafka-Preis (1983).
Ilse Aichinger und ihre Mutter in der Küche in Großgmain (Foto: Archiv Stefan Moses).
Eben. Hier liegen wir, wir Hasen. Unverlangt, aber doch. Wir hören nicht auf, aufzugeben. Kein einziger kleiner von uns, unserer hellen Schar. Hell ist wahr. Die Schutzfarben sind schlecht verteilt. Man könnte es auch so nennen: Wir nahmen sie nicht, zeigten uns unbestechlich, benützten die Stimmlosigkeit, Gabel der Weisen, die Fehler liegen offen. Intra muros. Sind da. (Surrender; Schlechte Wörter, 93)
Der Band schlechte Wörter enthält Prosatexte, deren Länge zwischen kurzen Erzählungen und Prosagedichten schwankt. Stilistisch stehen sie den „Maulwürfen“ näher als jeder anderen bekannten Prosaform.
Für die Reihe „Bücherschau“ des Bayerischen Fernsehens besuchen Johannes Mager und Ulrike Voswinckel die Autorin in ihrem Haus in Großgmain und stellen ihr neues Buch Schlechte Wörter vor (gesendet am 12.9.1976 im BR).
Das erst 1988 enstandene Gedicht „Heu“ erschien noch im selben Jahr im Salzburger Literaturalmanach Was mich tröstet. Zusammen mit dem 15 Jahre zuvor geschriebenen Gedicht „St.Gilgen“ wird es erst 1991 in die Neuausgabe von Verschenkter Rat im Rahmen der Werkausgabe aufgenommen. Nachlaß Ilse Aichinger, DLA