Mit Ilse Aichinger, so ein von Hans Weigel geprägtes Wort, fing die österreichische Nachkriegsliteratur an. Für mehr als sechs Jahrzehnte blieb Aichinger eine der wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Am 1.11.2021wären Ilse Aichinger und ihre Zwillingsschwester Helga einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeichnet die hier präsentierte Ausstellung den Lebensweg und das Schaffen der großen österreichischen Autorin nach und streift dabei immer wieder die so andere Geschichte ihrer Schwester, die 1939 vor den Nazis nach England flüchten musste und später Künstlerin wurde. Vielfach entsteht das Werk der beiden im Dialog.
Die Mehrheit der gezeigten Dokumente stammt aus dem im Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) verwahrten Nachlass von Ilse Aichinger sowie aus dem Nachlass ihrer Schwester (in Privatbesitz). Wir danken Mirjam und Lena Eich, sowie Ruth und Hugh Rix für ihre große Unterstützung, und ihnen sowie allen anderen Rechteinhabern für die Erlaubnis diese Dokumente zeigen zu dürfen. Eine wesentliche Bereicherung der Ausstellung bedeutete die Möglichkeit audiovisuelle Dokumente mit aufzunehmen, wofür wir den jeweiligen AutorInnen und den Rundfunk- und Fernsehstationen zu Dank verpflichtet sind. Unser besonderer Dank geht an die MitarbeiterInnen des Deutschen Literaturarchivs (DLA), der Österreichischen Nationalbibliothek, des Literaturhaus Wien, des Wiener Filmmuseums, des Wien Museums und der Viennale, die uns trotz Corona-Sperren bestmöglichst in unseren Recherchen unterstützt und die gesuchten Bildvorlagen bereitgestellt haben, sowie an Friedrich Denk, Andreas Dittrich, Sonja Frank, Christa Geitner und Inge Thurner, Franz Hammerbacher, Johannes Mager und Ulrike Voswinkel, Christine Nagel, Sven Kramer, Nora Pärr, Julietta Rudich, und nicht zuletzt Martin Walser.
Dem S. Fischer Verlag und dem Verlag Schlebrügge editor gebührt unser Dank für die großzügige Erlaubnis zur Reproduktion der Texte und Bilder von Ilse Aichinger und Helga Michie.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Christine Ivanovic und Sugi Shindo.
Coverentwurf: Aya Shindo auf der Basis eines Fotos aus dem Besitz von Adolf Opel.
Grafik: Manfred Thumberger/ www.selenoart.com
Quellennachweis der zitierten Werke von Ilse Aichinger: Werke in Einzelausgaben. Frankfurt a.M.: S. Fischer 1991 (zitiert wird jeweils der Bandtitel dieser Ausgabe); Film und Verhängnis. Frankfurt a.M.: S. Fischer 2001; Unglaubwürdige Reisen. Frankfurt a.M.: S. Fischer 2005; Subtexte. Wien: Edition Korrespondenzen 2006. Es muss gar nichs bleiben. Interviews. Wien: Edition Korrespondenzen 2011. Die Bilder von Helga Michie entstammen der Ausgabe: I am Beginning to Want what I Am. Helga Michie. Works 1968-1985. Wien: Schlebrügge editor 2018 (Sigle HM).
Wir haben uns redlich bemüht alle Rechteinhaber und –nachfolger ausfindig zu machen und deren Rechtsansprüche kenntlich zu machen. Sollten Sie darüber hinaus Ansprüche geltend machen wollen, wenden Sie sich bitte an den Auftraggeber im BMEIA.
1921-1927 Erinnerung begreift sich nicht zu Ende
Ilse Aichinger und ihre identische Zwillingsschwester Helga werden am 1. November 1921 in Wien
geboren und katholisch getauft.
1927-1938 Eine Geschichte von der Treue
Im Sommer 1927 trennen sich die Eltern, die Ehe wird geschieden. Die Zwillinge kehren mit ihrer Mutter nach Wien zurück, bleiben aber in gutem Kontakt mit dem Vater. Die Zeiten sind schwierig.
1938-1945 Verfolgung und Unsicherheit
In Österreich hatten zu Weihnachten 1938 Verfolgung und Unsicherheit für viele Familien begonnen. Auch wir hatten unsere Wohnung verlassen müssen und wohnten bei unserer Großmutter.
Die größere Hoffnung
Der Titel war zuerst da, Die größere Hoffnung, weil dieser Begriff der Hoffnung gegen jede Hoffnung ist, eigentlich die Hoffnung der Verlorenen.
1945-1950 „Es begann mit Ilse Aichinger“
Wenige Monate nach Kriegsende, am 1.September 1945, dem Jahrestag des Kriegsbeginns, wird der erste Text von Ilse Aichinger im soeben gegründeten Wiener Kurier publiziert: „Das vierte Tor“.
1950-1953 Das Erzählen in dieser Zeit
Mit finanzieller Unterstützung des Fischer Verlags verlässt Aichinger Anfang der 50er Jahre Wien und übersiedelt zunächst nach Frankfurt. Inge Scholl, die älteste der Geschwister Scholl…
1953-1963 Wo ich wohne
1953 heiratet Ilse Aichinger den deutschen Schriftsteller Günter Eich. Sie wohnen in Bayern nahe der österreichischen Grenze, zunächst in Breitbrunn in Oberbayern, ab 1956 in Lenggries.
1963-1972 Maulwürfe
Im Sommer 1963 zieht Aichinger mit ihrer Familie in ein altes Haus mit großem Garten in Großgmain im Salzburger Land. Wirtschaftswunder, Dekolonisation und Amerikanisierung…
1972-1984 Die Untergänge vor sich herschleifen
Auch nach dem Tod von Günter Eich im Dezember 1972 bleibt Ilse Aichinger noch lange im Haus in Großgmain, das sie zuletzt gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnt…
1984-1988 Worte müssen immer wieder bedacht werden
Vor ihrer endgültigen Rückkehr nach Wien lebt Aichinger auf Initiative ihrer Verlegerin, Freundin und Mäzenin Monika Schoeller noch einmal für einige Zeit in Frankfurt am Main…
Distanz in Beziehung verwandeln
Wie eng das Werk der beiden seit der Trennung 1939 weit voneinander entfernt lebenden und doch immer einander nahen Schwestern Aichinger aufeinander bezogen ist…
1988-1996 Es wird immer um Genauigkeit gehen
Fünfzig Jahre nach dem sogenannten ‚Anschluss‘ Österreichs und auf dem Höhepunkt der Waldheim-Affäre kehrt Ilse Aichinger nach Wien zurück…
1997-2006 „… dass ich Wien brauche“. Im Kino des Verschwindens
Als passionierte Kinogängerin und Caféhausbesucherin wird Aichinger in den neunziger Jahren zum Wiener ‚Original‘. 1995 hatte sie die Viennale mit einer Ansprache eröffnet…
2006-2016 Die Freiheit, wegzubleiben
„Weshalb »Journal«, weshalb »Verschwinden«, weshalb »Blitzlichter auf ein Leben«? – Weil mir vor allem an der Flüchtigkeit liegt“.
2016-2021 Freude, Jugend, Hoffnung
Als Ilse Aichinger im Frühjahr 1952 ihre „Spiegelgeschichte“ vor der Gruppe 47 gelesen hatte, gab es keine Diskussion, keinen Einspruch. Der Text überzeugte fraglos, die Würdigung der Autorin…