"Mein Vorhaben: Ankommen!"
Schreibende Frauen
Ab der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurden österreichische Frauen immer sichtbarer im öffentlichen Diskurs. Am deutlichsten erkennt man das wahrscheinlich durch die plötzliche Anhäufung an weltbekannten Autorinnen, die zu den wichtigsten literarischen Stimmen des deutschsprachigen Raums wurden.
1. Ingeborg Bachmann, Schriftstellerin (1926-1973)
Mit dem Einzug von Hitlers Militär in Österreich datierte die in Klagenfurt geborene Ingeborg Bachmann das Ende ihrer Kindheit. Im Herbst 1946 zog Bachmann nach Wien und studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie. Bereits zu ihrer Zeit in Klagenfurt hatte sie ihre erste Erzählung „Die Fähre“ in der „Kärntner Illustrierten“ publiziert. Wien eröffnete ihr nun die Möglichkeit auch erste Gedichte zu veröffentlichen und an dem literarischen Kreis um Hans Weigel teilzunehmen. Hier lernte sie auch Paul Celan kennen, der prägend für ihr literarisches Schaffen wurde. 1950 promovierte Bachmann mit einer Arbeit über die Rezeption von Martin Heidegger und arbeitete, nach mehreren Auslandsaufenthalten, als Redakteurin der Sendergruppe Rot/Weiß/Rot. 1952 sorgte sie als Debütantin einer Tagung der Gruppe 47 für Aufsehen. Nach dem Erscheinen ihres ersten Lyrikbandes „Die gestundete Zeit“ (1954) lebte sie als freischaffende Schriftstellerin in Italien. Für ihre Lyrik und Prosa erhielt Ingeborg Bachmann zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Preis der Gruppe 47 (1953), den Georg-Büchner-Preis (1964) und den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur (1968). Auch ihr Roman „Malina“(1971), der als Aufarbeitung ihrer Beziehung mit Max Frisch gelesen wird, wurde zu einem internationalen Bestseller. Bachmann kam 1973 auf tragische Weise ums Leben. Bei einem Brand in ihrer Wohnung in Rom erlitt sie schwere Verbrennungen und erlag diesen knapp drei Wochen später.
2. Ilse Aichinger, Schriftstellerin (1921-2016)
„Man überlebt nicht alles, was man überlebt“, so ein Satz von Ilse Aichinger. Als halbjüdisches Kind war sie von der antisemitischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten betroffen. Ihre Zwillingsschwester Helga konnte 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien fliehen, während Ilse mit ihrer Mutter in Wien zurück blieb. Sie entgingen den Pogromen, im Gegensatz zu der Großmutter und den Tanten und Onkeln, die nach Minsk deportiert und dort ermordet wurden. Nach Kriegsende begann Aichinger ein Medizinstudium, das sie aber bald abbrach, um den autobiographischen Roman „Die größere Hoffnung“ (1948) zu vollenden. Schon während ihres Studiums erschienen zahlreiche ihrer Essays, unter anderem „Das vierte Tor“, in dem sie zum ersten Mal in der österreichischen Literatur die Konzentrations- und Vernichtungslager thematisierte. Die Auszeichnung ihrer „Spiegelgeschichte“ mit dem Preis der Gruppe 47 machte sie einer breiteren LeserInnenschaft bekannt und trug dazu bei, dass Aichinger zunehmend von der Schriftstellerei leben konnte. Zudem machte sie bei der Tagung Bekanntschaft mit AutorInnen wie Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Thomas Bernhard, insbesondere aber mit Günter Eich, den sie 1953 heiratete. Nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Mutter folgte Ilse Aichinger der Einladung des Fischer-Verlags nach Frankfurt, kehrte jedoch 1988 nach Wien zurück. Ihr literarisches Werk umfasst einen Roman, Erzählungen und Kurzprosa, aber auch Hörspiele und Beiträge für die Tageszeitung „Der Standard“. Aichinger wurde 1995 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.
3. Marlen Haushofer, Schriftstellerin (1920-1970)
„Die Wand“ (1963), Marlen Haushofers dritter und erfolgreichster Roman, schildert das Schicksal einer Frau, die inmitten eines engumgrenzten Stücks Natur in den Bergen durch eine unüberwindbare Mauer von der Zivilisation abgeschnitten wird. Die thematische Auseinandersetzung mit Einsamkeit, gesellschaftlicher Enge und dem bürgerlichen Familien- und Rollenmodell, in das Frauen eingesperrt werden, prägten viele von Marlen Haushofers Werken. Nach einer gescheiterten Beziehung mit dem Vater ihres ersten Kindes, lernte sie 1940 den Medizinstudenten Manfred Haushofer kennen, mit dem sie auch einen Sohn bekam. In Wien studierte sie Germanistik und Kunstgeschichte, brach ihre Dissertation jedoch ab und begann erste Erzählungen zu veröffentlichen. Der Beruf ihres Mannes erforderte 1947 den Umzug nach Steyr. Marlen Haushofer suchte weiterhin den Kontakt zur österreichischen Literaturszene und gehörte zunächst dem Kreis um Hermann Hakel („Lynkeus“), dann der Runde um Hans Weigel, die sich im Café Raimund traf, an.
Auf Anraten von Weigel veröffentlichte Haushofer ihre ersten beiden Romane nicht und publizierte erst wieder 1952 die Erzählung „Das fünfte Jahr“, für die sie mit dem Kleinen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde. Im Zsolnay Verlag erschienen, zwischen 1955 und 1957, ihre Romane „Eine Handvoll Leben“ und „Die Tapetentür“. Beide Texte handeln von dem schwierigen Versuch einer weiblichen Emanzipation. Haushofers Privatleben war von Krisen gezeichnet und 1958 erschien die Novelle „Wir töten Stella“, in der die Familie als existenzvernichtend präsentiert wird. Auch ihr letzter Roman „Die Mansarde“ (1969) schildert die trügerische Idylle einer bürgerlichen Ehe, die nur mehr zum Schein aufrechterhalten wird. Marlen Haushofer starb 1970 an Knochenkrebs in einem Wiener Spital.
4. Christine Lavant, Schriftstellerin (1915-1973)
Christine Lavant wurde 1915 als das jüngste von neun Kindern des invaliden Grubenmaurers Georg Thonhauser und der Flickschneiderin Anna im Lavanttal/Kärnten geboren. Sie machte den Namen ihres Heimatflusses zu ihrem Pseudonym. Als Kind war die lungenkranke und körperlich schwächliche Christine eine Außenseiterin. Schon früh aber entdeckte sie die Literatur für sich und begann selbst zu schreiben. Nach dem Tod ihrer Eltern heiratete Christine vierundzwanzigjährig den deutlich älteren Kunstmaler Josef Habernig. Das Paar lebte zurückgezogen und in finanziell prekären Verhältnissen. Der in bäuerliche Tücher gehüllte Kopf mit den eingefallenen Wangen und den hervorstechenden Augen, der hagere, gekrümmte Körper und ihre intensive Beschäftigung mit religiöser, mythischer und philosophischer Literatur, trugen ihr Übriges zu Lavants Rezeption als „dichtendes Kräuterweibl“ bei. Viele wichtige Namen der österreichischen Literaturszene zollten ihr jedoch ernsthafte Anerkennung für ihre Dichtungen. Victor Kubzak publizierte in seinem renommierten Stuttgarter Brentano-Verlag ab 1948 ihre Texte, darunter ihre Erzählung „Das Kind“ (1948), den Gedichtband „Die unvollendete Liebe“ (1949) und „Die Bettlerschale. Gedichte“ (1956). Christine Lavants letzte Lebensjahre waren geprägt vom Wechsel zwischen Krankenhausaufenthalten und künstlerischem Erfolg. 1970, drei Jahre vor ihrem Tod, wurde Lavant mit dem Österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet.
5. Marie von Ebner-Eschenbach, Schriftstellerin (1830-1916)
Als Baroness Dubský wurde Marie von Ebner-Eschenbach 1830 auf Schloß Zdislavice, bei Kremsier, in Mähren geboren. Die Eltern, väterlicherseits stammte Marie aus altem österreichischem, mütterlicherseits aus norddeutsch-protestantischem Geschlecht, förderten ihre Lernfreude und ihr großes Interesse an Literatur, Philosophie und Theater von klein auf. Eine berufliche Laufbahn als Schriftstellerin wurde von ihnen dennoch als „etwas Unrechtes und Sündhaftes“ zurückgewiesen, wie sich Marie in ihrer Autobiografie „Meine Kinderjahre“ erinnerte. 1848 heiratete sie, achtzehnjährig, ihren Cousin Moritz von Ebner-Eschenbach, der zunächst als Professor an der Militär-Ingenieur-Akademie in Znaim Physik und Chemie lehrte. 1856 zog das kinderlose Paar nach Wien. Hier widmete sich Marie von Ebner-Eschenbach vor allem der Schriftstellerei, insbesondere dem Schreiben von Theaterstücken. Als Dramatikerin blieb sie jedoch erfolglos, der Großteil ihrer Bühnenwerke fand nie zu einer Aufführung. Ihren Durchbruch erlangte sie hingegen ausgerechnet mit jener literarischen Gattung, die sie selbst als „die bescheidenste Form“ der Literatur bezeichnet hatte – der Erzählung. Ihr Kurzroman „Božena“ (1876), „Die Geschichte einer Magd“ (1876), die „Aphorismen“ (1880), die „Dorf- und Schlossgeschichten“ (1883), die Ebner-Eschenbachs berühmteste Novelle „Krambambuli“ umfassen, sowie auch ihr Roman „Das Gemeindekind“ (1887) begründeten die Aufnahme ihrer Erzählungen in den „Kanon der österreichischen Literatur“. Ihre Herkunft aus einer wohlhabenden Familie der Aristokratie tat Ebner Eschenbachs Engagement für die „kleinen Leut“ keinen Abbruch. In ihrer Geisteshaltung der österreichischen Spätaufklärung verpflichtet, schildert sie in ihren Erzählungen vor allem das Schicksal von gesellschaftlichen AußenseiterInnen und Angehörigen der sozialen Unterschicht. 1899 wurde ihr als erster Frau das Österreichische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft verliehen.