Nach dem Zweiten Weltkrieg
Exil, Rückkehr oder Neuanfang
Nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten trugen die „Trümmerfrauen“, wenngleich oft idealisiert, die Hauptlast bei den Aufbauarbeiten. Andere Frauen setzten sich journalistisch oder künstlerisch für ihre Heimat ein. Viel Wissen, Kraft und Kreativität ging allerdings verloren, indem Österreich es verabsäumte, wichtige ins Ausland geflüchtete Frauen offiziell zum Zurückkommen einzuladen.
1. Marietta Blau, Kernphysikerin (1894-1970)
„Frau und Jüdin. Beides zusammen ist einfach zu viel.“ Mit dieser niederschmetternden Stellungnahme eines Verwaltungsbeamten der Universität Wien, soll Marietta Blaus Anfrage nach einer Dozentur zurückgewiesen worden sein. Dabei brachte die junge Akademikerin alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche, wissenschaftliche Laufbahn mit. Die Hürden, denen Marietta Blau im Laufe ihrer Karriere begegnete und die fehlende Anerkennung zu Lebzeiten, stehen stellvertretend für die Lebensläufe vieler begabter Forscherinnen ihrer Zeit. 1914 absolvierte sie die Reifeprüfung an einem privaten Wiener Mädchengymnasium mit Auszeichnung und begann ein Studium als ordentliche Hörerin in Physik und Mathematik. Nach ihrer Promotion 1919 erhielt sie Anstellungen im wissenschaftlichen Bereich in Frankfurt und Berlin, kehrte aber nach Wien zurück, wo sie unbezahlt im Institut für Physik arbeitete. Hier war sie vor allem an der Entwicklung fotografischer Nachweismethoden einzelner Teilchen beteiligt, die hier pionierhaft betrieben wurde. Ihre jüdische Herkunft zwang Blau 1938 zur Flucht. Auf Vermittlung von Albert Einstein konnte sie eine Stelle an der Technischen Hochschule in Mexiko Stadt antreten. 1944 zog sie in die USA und setzte ihre akademische Tätigkeit an Universitäten in New York, Long Island und Florida fort. Zweimal wurde sie von Erwin Schrödinger vergeblich für den Physik-Nobelpreis vorgeschlagen. Ihre Gesundheit war zu diesem Zeitpunkt durch den jahrelangen Kontakt mit radioaktiver Strahlung bereits stark angegriffen. 1960 kehrte Marietta nach Wien zurück, wo sie, wieder ohne Bezahlung, bis 1964 am Radiuminstitut weiter ihrer Forschung nachging. 1962 verlieh ihr die Österreichische Akademie der Wissenschaften den Erwin Schrödinger-Preis, ohne sie jedoch in die Akademie aufzunehmen. Marietta Blau erlag 1970, völlig verarmt, in Wien ihrem Krebsleiden.
2. Stella Kadmon, Theaterleiterin (1902-1989)
Nach ersten Engagements an Theatern in Linz und Mährisch-Ostrau, wurde die Reinhardtseminar-Absolventin Stella Kadmon von dem österreichischen Kabarettisten Fritz Grünbaum dazu angeregt, sich ebenfalls als Kabarettistin zu versuchen. Eine geplante, gemeinsame Revue wurde zwar nicht realisiert, jedoch debütierte Stella Kadmon 1926 mit Liedern von ihm als Chansonnière im Wiener Kabarett „Pavillon“ und bespielte als erfolgreiche Künstlerin bekannte Kabarettbühnen in Wien, München, Berlin und Köln. 1931 eröffnete sie als Mitbegründerin des „Lieben Augustin“ im Souterrain des bis heute bestehenden Café Prückl am Stubentor, die erste politische Kleinkunstbühne Wiens und übernahm dessen Leitung bis zur Schließung 1938. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwang die Jüdin Stella Kadmon zur Emigration. In Tel Aviv gründete Kadmon das hebräischsprachige Kabarett „Papillon“ und veranstaltete deutschsprachige Liederabende und Lesungen. Nach ihrer Rückkehr nach Wien übernahm sie 1947 erneut die Leitung des mittlerweile von Fritz Eckhart wiedereröffneten „Lieben Augustin“ und wandelte das Etablissement in ein avantgardistisches Theater um. Die Inszenierung von Bert Brechts „Furcht und Elend des dritten Reiches“ (1948) konnte wieder als Erfolg verbucht werden. Folglich machte Kadmon das Haus zu einer Schauspielbühne und nannte es nun „Theater der Courage“. Kadmon leitete das Theater, das richtungsweisend für die österreichische Kleinbühne wurde, bis zu seiner Schließung 1981.
3. Hilde Spiel, Schriftstellerin (1911-1990)
Hilde Spiel studierte nach der Matura in Eugenia Schwarzwalds Mädchenschule Philosophie und promovierte 1936. Noch als Studentin veröffentlichte sie 1933 ihren ersten Roman „Kati auf der Brücke“, eine tiefgehende Betrachtung der Liebe, in der sie bewies, dass sie die gesellschaftlich konstruierte Differenz der Geschlechter durchschaut hatte. 1936 heiratete sie den Schriftsteller Peter de Mendelssohn, mit dem sie wegen der antisemitischen Politik Österreichs nach London ins Exil ging.
Hilde Spiel wurde 1941 britische Staatsbürgerin und das Schreiben wurde nun zu ihrem Beruf. Bald war sie eine angesehene Journalistin und Essayistin, die in großen Zeitungen wie „New Statesman“, „Welt“ oder dem „Guardian“ publizierte. Zeit ihres Lebens haderte sie damit, zu wenig Zeit für das literarische Schreiben zu haben.Als Literaturkritikerin war sie allerdings enorm einflussreich und verhalf unter anderen Heimito von Doderer zum Durchbruch und stand jahrzehntelang mit Elias Canetti und Friedrich Torberg in konfliktreicher Beziehung. 1963 kehrte sie nach Österreich zurück, wo ihr „Lieblingsfeind“ Torberg ihre Wahl als Präsidentin des Österreichischen P.E.N.-Clubs verhinderte. Aus Protest wechselte sie zum P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland, wo sie sich gemeinsam mit Heinrich Böll für das Komitee „Writers in Prison“ engagierte.
4. Minna Lachs, Pädagogin (1907-1993)
Minna Lachs musste mit ihrer Familie im Ersten Weltkrieg aus ihrem Geburtsort, dem vielsprachigen Trembowla (Galizien), nach Wien flüchten. Hier studierte sie Germanistik, Romanistik, Psychologie und Pädagogik und promovierte 1931 über die deutsche Ghettogeschichte. Der Anschluss Österreichs an Deutschland zwang Minna Lachs zur Flucht. Gemeinsam mit ihrem Mann und dem zwei Monate alten Sohn emigrierte sie zunächst nach Zürich, dann weiter nach New York. Im amerikanischen Exil engagierte sie sich in privaten Schulen, organisierte Lesungen und Diskussionen und erweiterte ihre pädagogischen Kenntnisse. 1947 kehrte sie nach Wien zurück und nahm dort ihre Lehrtätigkeit wieder auf. Als Direktorin des Mädchengymnasiums Haizingergasse (1954-1972), förderte Minna Lachs moderne, aufgeschlossene Bildungsmethoden und versuchte ein Bewusstsein für zeitgenössische Literatur und politische Bildung zu schaffen. 1956 übernahm sie das Amt der Vizepräsidentin für die österreichische UNESCO-Kommission und brachte ihre Kenntnisse und jahrelange Erfahrung im Bildungswesen als Vorsitzende des Fachausschusses für Erziehung ein. In ihrer Lyrikanthologie „Und senden ihr Lied aus“ (1963) versammelte sie österreichische Lyrikerinnen vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart und trug so entscheidend zur Neuentdeckung vieler bereits vergessener heimischer Dichterinnen bei.
5. Mira Lobe, Schriftstellerin (1913-1995)
„Ob´s mich etwa gar nicht gibt?“, fragt sich das kleine Ich-bin-ich, Mira Lobes bekannteste Kinderbuchfigur am Anfang seiner Suche nach der eigenen Identität, die schließlich zu der Erkenntnis führt: “Sicherlich gibt es mich: Ich bin ich!“ Beinahe 100, in mehr als 30 Sprachen übersetzte, mit Preisen überhäufte Kinder- und Jugendbücher hat Mira Lobe geschrieben. Neben dem „Kleinen Ich-bin-ich“, für das Lobe den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur erhielt, kennen Kinder weltweit Lobes Geschichten „Die Omama im Apfelbaum“ (1965), „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“ (1981) oder die „Geggis“(1985). Ein Studium der Germanistik und Kunstgeschichte war ihr im nationalsozialistischen Deutschland aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verwehrt geblieben. 1936 emigrierte sie nach Tel Aviv, wo sie im Sommer 1940 den deutschen Schauspieler und Regisseur Friedrich Lobe heiratete. Dort begann sie mit der Arbeit an einem hebräischen Kinderbuch, das später unter dem Titel „Insel-Pu“ auf Deutsch erschien. Die Engagements ihres Mannes führten Mira Lobe nach Wien, wo sie den Großteil ihrer Bücher schrieb. Die Zusammenarbeit mit der Illustratorin Susi Weigel, die Zeichnungen zu mehr als 45 Büchern Lobes lieferte, gaben ihren Bänden auch optisch eine unverkennbare Note. Gemeinsam setzten Lobe und Weigel neue Maßstäbe in der Kinder- und Jugendbuchliteratur. Mira Lobes Geschichten vermitteln jungen LeserInnen bis heute humanistische Werte wie Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Solidarität und das Verständnis für AußenseiterInnen und Schwache, thematisieren aber auch die Notwendigkeit von persönlicher Freiheit, Selbstbehauptung und der Kritik an Autorität.