Die Wissenschaft ist weiblich
Bedeutende Schritte aus dem männlichen Schatten
Heutzutage muten die Vorurteile gegen Frauenbildung absurd an, galten um 1900 allerdings noch als Tatsachen: Mädchen wären zu oberflächlich, der Wunsch zu studieren entspringe der Hysterie, das Frauengehirn sei ungeeignet zu lernen, gebildete Frauen würden zum “Mannweib”. Heute liegt der Frauenanteil bei Matura- und Universitätsabschlüssen bei knapp 60%.
1. Lise Meitner, Physikerin (1878-1968)
Seit 1896 gab es in Wien die Möglichkeit eine externe Matura abzulegen, die zum Universitätsstudium berechtigte. Diese Form der Reifeprüfung absolvierte Lise Meitner 1901. Nach einer konventionellen Ausbildung als Französischlehrerin promovierte sie 1906 bei Ludwig Boltzmann mit einer Arbeit über „Wärmeleitung in inhomogenen Körpern“. Daraufhin ging sie nach Berlin, wo sie mit dem Chemiker Otto Hahn in einem Keller forschte, da ihr als Frau nicht erlaubt war, das Institut zu betreten. Schließlich wurde sie Assistentin von Max Planck, auch wenn dieser zuvor der Meinung war, „dass es höchst verfehlt wäre (…) Frauen zum akademischen Studium heranzuziehen“. 1926 wurde Lise Meitner Professorin für Kernphysik, verlor als Jüdin jedoch 1933 ihre Lehrbefugnis trotz Intervention von Max Planck. Sie blieb auch im Exil in Stockholm in engem Kontakt mit Otto Hahn, prägte den Begriff „Kernspaltung“ und veröffentlichte 1939 Berechnungen zur daraus frei werdenden Energie. Das führte dazu, dass die stets pazifistisch denkende Forscherin nach der ersten Atombombe von Hiroshima in den USA als „Mutter der Atombome“ galt und „Woman of the Year“ wurde. 1946 erhielt Otto Hahn allerdings alleine den Nobelpreis für Chemie für die Entdeckung der Kernspaltung. Lise Meitner wurde insgesamt 47-mal für den Nobelpreis nominiert, aber eine Auszeichnung blieb ihr versagt. In Österreich wurde sie das erste weibliche Mitglied der naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
2. Marie Jahoda, Sozialwissenschaftlerin (1907-2001)
Marie Jahoda wurde in einem assimilierten jüdischen Elternhaus in Wien geboren. 1926 nahm sie am neu gegründeten Pädagogischen Institut der Stadt Wien eine Ausbildung zur Volksschullehrerin auf und schrieb sich parallel dazu an der Universität in den Fächern Psychologie und Philosophie ein. Anfang der dreißiger Jahre unterrichtete sie an verschiedenen Wiener Schulen. Nach ihrer Entlassung aus dem Schuldienst aus antisemitischen Gründen, begann sie sich immer mehr politisch und sozialwissenschaftlich zu engagieren. Durch die mit ihrem Mann Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel herausgegebene Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ (1933) wurde sie weltberühmt. Detaillierte Beobachtungen und Befragungen von 478 Familien brachten als Ergebnis, dass langfristige Arbeitslosigkeit nicht zu Aufständen, sondern eher zu Resignation und Verlust des Selbstwertgefühls führte. Im November 1936 wurde Marie Jahoda als revolutionäre Sozialistin denunziert und im anschließenden Prozess zu drei Monaten Kerker und einem Jahr Schutzhaft verurteilt. Nach massiven internationalen Protesten – die Marienthalstudie war in zahlreiche Sprachen übersetzt worden und hatte weltweite Resonanz gefunden – wurde Marie Jahoda vorzeitig aus der Haft entlassen. Innerhalb von 24 Stunden verließ sie Österreich, zuerst nach Großbritannien, 1945 in die USA, wo sie 1949 zur Professorin für Sozialpsychologie an der New York University ernannt wurde. 1958 kehrte sie nach Großbritannien zurück, wo sie 1965 an der University of Sussex als erste weibliche Professorin in der Geschichte der britischen Sozialwissenschaften mit dem Aufbau einer sozialpsychologischen Abteilung betraut wurde. Eine Einladung, nach Österreich zurückzukommen, hat sie nie bekommen.
3. Elise Richter, Romanistin und Universitätsprofessorin (1865-1943)
1897 legte Elise Richter als erste Frau Österreich-Ungarns die Reifeprüfung am Akademischen Gymnasium in Wien ab und inskribierte sich noch im selben Jahr an der Universität, um dort Romanistik, allgemeine Sprachwissenschaft, klassische Philologie und Germanistik zu studieren. Sie war auch die erste Frau, die an der Universität Wien habilitierte (1907) und in weiterer Folge die erste ao. Universitätsprofessorin in Österreich. Um den Titel des Ordinarius sollte sie sich allerdings vergeblich bemühen. Über ihre Lehr- und Forschungstätigkeit hinausgehend, gründete sie 1922 den „Verband der akademischen Frauen Österreichs“ und stand diesem bis 1930 vor. Sie publizierte regelmäßig und leitete ab 1928 das phonetische Institut der Universität Wien, dennoch war sie zeitlebens mit Widerstand auch aus akademischen Kreisen konfrontiert und musste um Anerkennung ringen. Die antisemitischen Sanktionen nach dem „Anschluss“ Österreichs unter dem NS-Regime bedeuteten für Richter schließlich das Aus ihrer akademischen Laufbahn. Ihr wurde die Lehrbefugnis entzogen und zusammen mit ihrer Schwester Helene wurde sie 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo beide ihr Leben lassen sollten. Heute erinnern ein nach ihr benannter Saal im Hauptgebäude der Universität Wien und ein ihr gewidmeter Förderpreis des Deutschen Romanistenverbandes an das Leben und Wirken von Elise Richter.
4. Käthe Leichter, Soziologin und sozialdemokratische Politikerin (1895-1942)
Der Beitrag Käthe Leichters zur Entwicklung der sozialdemokratischen Bewegung in Österreich kann nicht genug betont werden. Ihr politisches und journalistisches Engagement war breitgefächert und fand bis zu ihrer Verhaftung Ende Mai 1938 sowohl offiziell, als auch im Untergrund statt. Nachdem sie 1914 ihre Zulassung zum Studium der Staatswissenschaften an der Universität Wien mittels Klage erwirkt hatte, musste sie ihre Abschlussprüfungen dennoch in Heidelberg absolvieren. Sie promovierte 1918 mit Auszeichnung bei Max Weber, worauf sie wieder nach Wien zurückkehrte, wo sie ihren zukünftigen Gatten, den Journalisten Otto Leichter, kennen lernte. Sie wurde Mitglied der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ und fungierte innerhalb dieser zwischen 1919 und 1934 als stellvertretende Vorsitzende und Verantwortliche für Bildungs- und Frauenarbeit in der Wiener Bezirksgruppe. Ab 1925 war sie für den Aufbau des Frauenreferats in der Wiener Arbeiterkammer zuständig. Durch die Repressalien der Regierung Dollfuß in die Illegalität verdrängt, waren Käthe und Otto Leichter im Verborgenen Mitbegründer der „Revolutionären Sozialisten Österreichs“. Ihre politische Tätigkeit zwang die Familie Leichter 1938 zur Flucht in die USA, was allerdings nur dem Vater und den beiden Söhnen gelang. Käthe Leichter blieb zurück, wurde von der Gestapo festgenommen, inhaftiert und 1940 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überstellt. Zwei Jahre später fiel sie dem nationalsozialistischen Euthanasie-Programm in der Psychiatrischen Anstalt Bernburg/Saale zum Opfer.